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Aktuelles: Attosekunden-Stoppuhr für Kristalle

UR-Physiker:innen vermessen die Dynamik beweglicher Elektronen in Festk?rpern mit noch nie erreichter Zeitaufl?sung

12. Oktober 2022, von Bastian Schmidt

  • Physik
  • Forschung

Durch die Innenstadt zu fahren dauert erfahrungsgem?? l?nger, als dieselbe Distanz über eine freie Landstra?e zurückzulegen. Schlie?lich begegnet man innerorts vielen anderen Verkehrsteilnehmern, roten Ampeln, Baustellen oder Staus. M?chte man umgekehrt he-rausfinden, wie dicht eine Stra?e befahren ist, ohne sich selbst in den Verkehr einzureihen, kann man die Zeit messen, die Autos für eine bestimmte Wegstrecke ben?tigen. Genau so werden Verkehrsbehinderungen von modernen Navigationssystemen identifiziert. Auch im Mikrokosmos sollte dieses Konzept funktionieren. Wenn sich Elektronen (die kleinstm?glichen Ladungstr?ger) durch Festk?rper bewegen, k?nnen sie mit anderen Elektronen interagieren, wodurch sich ihre Dynamik ?ndert. Aufgrund der winzigen Elektronenmasse, laufen die relevanten Vorg?nge aber unvorstellbar schnell ab.
Einer Gruppe von Physiker:innen um Prof. Dr. Rupert Huber vom Institut für Experimentelle und Angewandte Physik der Universit?t Regensburg und Prof. Dr. Mackillo Kira vom Department of Electrical Engineering and Computer Science an der University of Michigan, USA, ist es nun erstmals gelungen, die ultraschnelle Bewegung freier Elektronen in Festk?rpern mit der aberwitzigen Pr?zision von nur wenigen Hundert Attosekunden zu verfolgen. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网e Aufl?sung reicht aus, um kleinste ?nderungen in der Dynamik von Elektronen durch Anziehung anderer Ladungstr?ger oder komplexe Vielteilchenkorrelationen zu untersuchen. ?ber die Ergebnisse berichtet das Forschungsteam in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Nature.
Eine Attosekunde entspricht dem milliardsten Bruchteil einer Milliardstel Sekunde – sie verh?lt sich zu einer Sekunde wie eine Sekunde zum doppelten Alter des Universums. Selbst Licht würde in einer Attosekunde lediglich eine Wegstrecke von der Gr??enordnung eines Atomdurchmessers zurücklegen. Um die Bewegung von Elektronen auf derart kurzen Zeitskalen zu vermessen, entwickelten die Forscher:innen eine neuartige Attosekunden-Stoppuhr. Als Unruh dient die schwingende Tr?gerwelle von Licht – das schnellste vom Menschen kontrollierbare Wechselfeld überhaupt. Das Lichtfeld bringt die Ladungstr?ger regelrecht auf eine Teststrecke durch den Festk?rper. Es beschleunigt Elektronen in Halbleiterproben erst in eine Richtung, um sie nach Umpolen der Feldrichtung anschlie?end mit den Lücken, von denen sie entfernt wurden,  sogenannten L?chern, zu rekollidieren. Dabei wird Licht emittiert. Die Kollisionen laufen nicht immer gleich wahrscheinlich ab, sondern h?ngen davon ab, zu welchem Zeitpunkt des beschleunigenden Lichtfeldes ein Elektron seine Bewegung beginnt. 
Die Forscher:innen verma?en diesen Kollisionspfad zeitlich genauer als ein Hundertstel Bruchteil einer Lichtschwingungsperiode und konnten so zeigen, wie unterschiedlich starke Anziehung zwischen Ladungstr?gern ihre Dynamik ver?ndert. ?Genau wie man selbst bei dichtem Verkehr lieber früher losfahren sollte, um noch rechtzeitig ans Ziel zu gelangen, müssen Elektronen ihren Kollisionskurs früher starten, wenn es in einem Kristall viele und starke Begegnungen zwischen Elektronen gibt“, erkl?rt Erstautor Josef Freudenstein vom Institut für Experimentelle und Angewandte Physik der Universit?t Regensburg begeistert.
Um den Einfluss verschieden starker Anziehungskr?fte zwischen Ladungstr?gern zu untersuchen, haben die Forscher:innen neben einer Volumenprobe des Halbleitermaterials Wolframdiselenid eine einzelne Atomschicht des selben Materials untersucht. In einem solchen minimal dicken exotischen Festk?rper erh?ht sich die Anziehung zwischen den Ladungstr?gern um ein Vielfaches und die Bewegung der Elektronen ver?ndert sich. Au?erdem konnten noch weitere ma?geblich bestimmende Gr??en für die Dynamik der Ladungstr?ger untersucht werden: Wird das beschleunigende Lichtfeld verst?rkt, vollenden Elektronen ihren Kollisionskurs schneller. Das gleiche Resultat wird auch beobachtet, wenn viele Elektronen zeitgleich ihre Bewegung starten. Dann schirmen sie sich gegenseitig ab und die Ladungstr?ger sehen nur noch schwache Anziehungskr?fte.
Aus der Zeit, die Elektronen ben?tigen um ihre Teststrecke zu absolvieren, l?sst sich also nicht nur erschlie?en, dass Interaktion stattgefunden hat, sondern auch wie. ?Auf der Attosekundenzeitskala lassen sich Wechselwirkungseffekte nicht mehr mit den Gesetzen der klassischen Physik erkl?ren sie sind vielmehr rein quantenmechanischer Natur. Direkt in der Zeitdom?ne zu verfolgen, wie sie die Bewegung der Elektronen beeinflussen, ist immens hilfreich, um modernste Vielteilchen-Quantentheorien zu testen“, erl?utert Prof. Dr. Mackillo Kira, dessen Gruppe die mikroskopische Dynamik mit quantenmechanischen Rechnungen simulieren konnte.

?Lange war die vorherrschende Meinung, dass die viel langsamere Femtosekunden-Zeitskala ausreicht, um festk?rperrelevante Elektronendynamik zu beschreiben; diese Hypothese konnten wir klar widerlegen“, bilanziert Prof. Dr. Rupert Huber, der die Experimente in Regensburg leitet, und erg?nzt: ?Unsere Attosekunden-Stoppuhr k?nnte gute Dienste dabei leisten, Vielteilchenkorrelationen in modernen Quantenmaterialien besser zu verstehen und neue Trends für künftige Quanteninformationsverarbeitung zu setzen.“ 
Das Projekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft durch den Regensburger Sonderforschungsbereich SFB 1277 gef?rdert. Experimentell und theoretisch arbeitende Physiker:innen erforschen darin in engen Kooperationen neuartige relativistische Effekte in Festk?rpern und loten M?glichkeiten aus, diese Entdeckungen für künftige Anwendungen in der Hochtechnologie von morgen einzusetzen

Originalpublikation:
J. Freudenstein, M. Borsch, M. Meierhofer, D. Afanasiev, C. P. Schmid, F. Sandner, M. Liebich, A. Girnghuber, M. Knorr, M. Kira, R. Huber, ?Attosecond clocking of correlations between Bloch electrons“, Nature (2022). DOI: 10.1038/s41586-022-05190-2

https://www.nature.com/articles/s41586-022-05190-2 (externer Link, ?ffnet neues Fenster)
 

Grafik:Brad Baxley (parttowhole.com)
Durch Lichtfelder k?nnen Elektronen und L?cher (blaue und orange Kugeln) durch Festk?rper beschleunigt werden. Bei der Kollision der Ladungstr?ger wird Licht emittiert (Lichtblitze rechts unten). Durch extrem pr?zise zeitliche Vermessung des Prozesses (veranschaulicht durch die Stoppuhr) k?nnen Rückschlüsse auf Vielteilchen-Korrelationen im Kristall (blaue und rote Feldlinien) gezogen werden.

Kontakt aufnehmen

Prof. Dr. Rupert Huber

Lehrstuhl für Experimentelle und Angewandte Physik
Universit?t Regensburg
Tel.: +49 (0)941 943-2070, 2071
E-Mail: rupert.huber@physik.uni-regensburg.de

Prof. Dr. Mackillo Kira

Department of Electrical Engineering and Computer Science
University of Michigan
Tel.: +1 734 764 4640
E-Mail: mackkira@umich.edu

M. Sc. Josef Freudenstein

Lehrstuhl für Experimentelle und Angewandte Physik
Universit?t Regensburg
Tel.: +49 (0)941 943-5741
E-Mail: josef.freudenstein@physik.uni-regensburg.de

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