Ist das Gesicht auf dem Bildschirm neutral oder traurig? Wirklich klar ist nur die Mundpartie zu sehen. Mia überlegt ein wenig, tippt aufs M der Tastatur, das für ?traurig“ steht. Weitere Bilder folgen, auch hier sind einzelne Gesichtspartien deutlicher zu sehen als andere. Mia empfindet die n?chsten drei Gesichter als ?neutral“ – dafür steht das Y. Klick-klick-klick. Viele Gesichter wandern über den Laptop, die 14-j?hrige Schülerin ordnet sie weiter zu. Sp?ter wird sie noch einen Fragebogen ausfüllen. Mia nimmt am ?Bubble-Experiment“ teil, das Psycholog:innen hilft, herauszufinden, welche Informationen Menschen ben?tigen, um ihre Gefühle zu erkennen. Die gewonnenen Erkenntnisse flie?en in wissenschaftliche Studien ein, die Hinweise auf Erkrankungen wie Selbstverletzung, Anorexie oder Depressionen geben und ?rzt:innen und Therapeut:innen im klinischen Alltag unterstützen.
Wer kann bei welchen Studien mitmachen? Das h?ngt von Forschungsgegenstand und der Fragestellung ab. In der Regel sollten Studienteilnehmer:innen zwischen 11 und 21 Jahre alt sein. Meist sind die Studien für gesunde ebenso wie erkrankte Jugendliche offen. Auch das inhaltliche Spektrum ist breit. Beim ?Bubble-Experiment“ etwa wollen die Forschenden mehr über selbstverletzendes Verhalten von Kindern und Jugendlichen lernen. Viele psychische Erkrankungen nehmen zu. ?Wir haben gerade wieder mehrere Notaufnahmen auf Station“, sagt Professor Dr. Romuald Brunner, Inhaber des Lehrstuhls für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie an der Fakult?t für Medizin der Universit?t Regensburg. Der Wissenschaftler ist auch ?rztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universit?t Regensburg, einer Kooperationsklinik der medbo – der medizinischen Einrichtungen des Bezirks Oberpfalz. 180.000 Kinder leben in der Oberpfalz, drei bis fünf Notf?lle nimmt diese Klinik t?glich auf.
Mit der leitenden Ober?rztin Dr. Stephanie Kandsperger er?rtert Professor Dr. Romuald Brunner auf dem Weg zur Lehrstuhlbesprechung noch kurz, wie die Dinge geregelt werden konnten, denn die Station ist voll. ?2021 waren es in der ambulanten Versorgung etwa 10.000 Kontakte“, sagt Romuald Brunner. ?3500 Kinder und Jugendliche wurden als neue Patient:innen aufgenommen.“ Ihre Versorgung profitiert von der N?he zu universit?rer Forschung und Lehre, dessen ist der Mediziner sicher. Suizidalit?t und nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten, Borderline-Pers?nlichkeitsst?rungen im Jugendalter, dissoziative St?rungen sowie Angstst?rungen und depressive St?rungen geh?ren zu seinem Forschungsspektrum. Stress-, Emotions- und Pr?ventionsforschung sind Schwerpunktbereiche am Lehrstuhl.
Forschung und Therapie – Hand in Hand
Die wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen des Lehrstuhls begeistern sich sichtlich für die Forschung und kombinieren sie mit ersten klinisch-therapeutischen Erfahrungen. Alexandra Otto (l.), wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin, führt das ?Bubble-Experiment“ durch. Dafür sucht sie aktuell sowohl gesunde M?dchen als auch M?dchen mit selbstverletzendem Verhalten zwischen 12 und 21 Jahren. Im Bubble-Experiment besteht die Aufgabe darin, verschiedene Gefühle anhand einzelner Gesichtsmerkmale, etwa einem Teil des Auges oder des Mundes, zu erkennen. Die aufgedeckten Bereiche werden ?Bubbles“ genannt und enthalten die für das Erkennen von Gefühlen relevanten Informationen. Zus?tzlich untersucht Alexandra Otto in Zusammenarbeit mit Doktorandin Franziska Schroter vom Lehrstuhl für Sportwissenschaften dissoziative Symptome bei Jugendlichen. Beim Rubber-Hand-Illusionsexperiment etwa ist die Verbindung von Gefühlen und K?rperwahrnehmung Untersuchungsgegenstand. Auch hier werden gesunde Jugendliche im Alter von 12 bis 21 Jahren gesucht.
Hinweise aus Studien flie?en in der Klinik direkt auch in die multiprofessionellen Teams, die neben ?rzt:innen, Psycholog:innen, p?dagogischen und pflegerischen Fachkr?ften eine Vielzahl von Fachtherapeut:innen (Ergotherapie, Logop?die, Motop?dagogik, Musiktherapie, Kunsttherapie) sowie au?erklinische Expert:innen integrieren. Wer krisenbedingt Beratung braucht, kann sich über die Pforte jederzeit in der Klinik melden. Einrichtung und Flure sind bunt und fr?hlich - Giraffe und Zebra l?cheln von den W?nden, im Aufenthaltsraum steht ein Kickertisch. Es gibt H?ngematten, Sitzs?cke, eine Kletterh?hle und pers?nliche Spinde für Geld und Handys der Patient:innen. Eine gemütliche Küche l?dt zu gemeinsamem Kochen und Essen ein.
Das Spektrum der jungen Patient:innen, die hier Hilfe suchen und bekommen, reicht von Vorschulkindern bis Jugendlichen im Alter von 17 Jahren. Die sogenannten St?rungsbilder seien extrem heterogen, erkl?rt Romuald Brunner, die kognitiven Voraussetzungen sind es ebenfalls. Sie reichen von starken Einschr?nkungen bis Hochbegabung. All das will in Betracht gezogen sein, wenn Patient:innen geholfen werden soll. Zudem spielt bei der Behandlung junger Patient:innen das pers?nliche Umfeld eine wesentliche Rolle: die Familie, die Schule, die sozialen Kontakte.
Neue Technologien nutzen
Angelika Ecker und Daniel Schleicher widmen sich in ihren Studien unter anderem dem Thema Schule und analysieren das Zusammenspiel von Anstrengung, Entspannung und Hormonen bei gesunden Kindern und Jugendlichen. An dieser Studie der beiden Doktorand:innen mitwirken k?nnen Kinder und Jugendliche im Alter von 11 bis 17 Jahren. Die Teilnehmenden dürfen in kurzen Rollenspielen oder im Virtual-Reality-Studio in verschiedene Situationen eintauchen, etwa, wie sie an der Schule vorkommen. Die dadurch erzeugte Anstrengung – wenn man ein Referat halten soll, zum Beispiel – l?sst sich unter anderem mit einer Eye-Tracking-Brille nachvollziehen. Au?erdem führen die beiden Doktorand:innen Interviews zum Erlebten. Für das allt?gliche Wohlbefinden wird dann noch eine Smartphone-App, die Entspannungsübungen bereith?lt, ausprobiert. Die beiden Doktorand:innen m?chten moderne Technologien st?rker in der Forschung mit Kindern und Jugendlichen nutzen und langfristig weiter entwickeln.
Zur Früherkennung von depressiven Erkrankungen im Jugendalter arbeitet Angelika Ecker an einem einfach zug?nglichen Chatbot, an den sich Kinder und Jugendliche, die Hilfe suchen, unproblematisch und jederzeit wenden k?nnen sollen. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网es Vorhaben ist wie verschiedene andere Projekte des Lehrstuhls interdisziplin?r. In diesem Fall arbeitet man mit Professor Dr. Bernd Ludwig (Informationslinguistik an der Universit?t Regensburg) zusammen.
Alexithymie - ein Risikofaktor
Risikofaktoren für psychische Erkrankungen sind vielf?ltig. Einer ist die sogenannte Alexithymie, oft auch ?Gefühlsblindheit“ genannt: Von ihr spricht man, wenn Menschen sich schwer damit tun, eigene Emotionen zu erkennen und zu beschreiben, nicht (mehr) registrieren, wenn sie traurig, müde oder ersch?pft sind. Denn Gefühle und K?rperwahrnehmung sind eng miteinander verbunden. Alexithymie spielt beispielsweise bei Selbstverletzung eine Rolle oder auch bei Anorexia Nervosa, ?Magersucht“, an der haupts?chlich M?dchen leiden und die oft chronisch verl?uft. Dazu forscht Dr. Irina Jarvers, Postdoc und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl. ?Zu den Ursachen für diese Krankheit, geh?ren neben vielf?ltigen anderen Risikofaktoren extreme Vergleiche der betroffenen M?dchen mit vermeintlichen Sch?nheitsidealen auf Sozialen Medien“, berichtet die junge Wissenschaftlerin.
Irina Jarvers erhebt Daten in dieser Studie über Interviews und Befragungen, in einem zweiten Schritt zus?tzlich mit bildgebenden Verfahren, der Magnetresonanztomografie (MRT). Denn Gewichtsabnahme und Mangelern?hrung wirken sich auch auf das Gehirn aus. M?dchen zwischen 11 und 19 Jahren, mit oder ohne Anorexia Nervosa, k?nnen an ihrer Studie teilnehmen. Irina Jarvers führt mit ihnen diagnostische Gespr?che, bittet sie darum, Frageb?gen zum Essverhalten auszufüllen und macht ein (medizinisch unbedenkliches) MRT des Kopfes.
Ziel ihrer Studie ist es, die k?rperlichen Auswirkungen von Gewichtsabnahme und Mangelern?hrung auf das Gehirn besser verstehen und Patient:innen besser behandeln zu k?nnen. COVID-19 hat auch hier Spuren hinterlassen: ?In einigen Kliniken gibt es seit 2021 einen siebzigprozentigen Anstieg von Anorexie-F?llen“, berichtet die Early Career Wissenschaftlerin, die auch auf dem Feld der Kleinkindforschung t?tig ist. Auch bei den Jüngsten hat die Pandemie Spuren hinterlassen –Irina Jarvers fand heraus, dass Kinder, die in den Shutdowns Notbetreuung nutzen konnten und damit mehr soziale Kontakte hatten, besser durch diese Phase der Corona-Zeit kamen als Kinder, deren Kitas geschlossen waren.
twa.
Informationen/Kontakt
Der UR-Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie l?dt interessierte Kinder und Jugendliche sowie ihre Eltern ein, an wissenschaftlichen Studien teilzunehmen, die Forschung damit zu unterstützen und das Wissen um Risikofaktoren, Krankheitsbilder und Therapiem?glichkeiten psychischer Erkrankungen zu erweitern. Wer 18 Jahre alt ist, darf allein kommen, bei Minderj?hrigen müssen die Eltern dabei sein und ihre Zustimmung zur Teilnahme schriftlich erkl?ren. Für die jungen Studienteilnehmer:innen gibt es das Taschengeld aufbessernde Einkaufsgutscheine als Aufwandsentsch?digung.
Hinweise zu den aktuellen Studien, Teilnahmevoraussetzungen und E-Mail-Adressen sowie Telefonnummern für Rückfragen (externer Link, ?ffnet neues Fenster) sind in den jeweiligen Studien-Flyern zu finden.
Zum Lehrstuhl von Prof. Dr. Romuald Brunner (externer Link, ?ffnet neues Fenster) und den Publikationen des Lehrstuhls (externer Link, ?ffnet neues Fenster)
Zur Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik & Psychotherapie (externer Link, ?ffnet neues Fenster) der Universit?t Regensburg am medbo Bezirksklinikum Regensburg
Fotos: twa/UR