Neun Fellows der Alexander von Humboldt-Stiftung sind im Jahr 2022 an der Fakult?t für Katholische Theologie der Universit?t Regensburg zu Gast. Angegliedert sind die Fellows an den Lehrstuhl für Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments von Professor Dr. Tobias Nicklas und an den Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft von Professor Dr. Harald Buchinger.
Professor Dr. Tobias Nicklas, einer der drei Direktoren und Sprecher des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gef?rderten Centre for Advanced Studies ?Beyond Canon_“ (FOR 2770 ?Jenseits des Kanons“), erinnert sich an die Anf?nge: ?Vor gut zehn Jahren kam mit Janet E. Spittler, heute Professorin an der University of Virginia, USA, zum ersten Mal eine Humboldt-Stipendiatin an die Fakult?t für Katholische Theologie nach Regensburg. Seitdem ist unglaublich viel gewachsen, die Gruppe der mit Regensburg verbundenen Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt w?chst kontinuierlich. Und durch die Ausstrahlung des Centres for Advanced Studies ?Beyond Canon_“ finden nun auch Kolleg:innen zu uns, die ihr erstes Fellowship woanders verbracht haben, Regensburg aber nun attraktiver empfinden – und sich für ihre Wiederaufnahme bei uns entscheiden.“
Professor Dr. Harald Buchinger, stellvertretender Sprecher der Kolleg-Forschungsgruppe und Dekan der Fakult?t für Katholische Theologie, konstatiert Agglomerationseffekte: ?Neben exzellenter Einzelforschung und der Erg?nzung der gewachsenen Interessen einzelner Lehrstühle tragen die Humboldt-Fellowships zur Profilierung nicht nur der Fakult?t im Bereich ihres langj?hrigen Forschungsschwerpunktes ?Die Bibel und ihre Rezeption in kulturellen Diskursen‘ bei, sondern auch zur internationalen Sichtbarkeit der Universit?t Regensburg als Standort exzellenter Forschung in den Area Studies und der innovativen regionalwissenschaftlichen Erforschung unter anderem von Ost- und Südosteuropa.“
Fellows und ihre Projekte
Drei Humboldt-Fellows sind für Ihren Forschungsaufenthalt an den Lehrstuhl für Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments angegliedert, darunter Professor em. Johan Thom von der Stellenbosch University, Südafrika. Von Mai bis August 2022 forscht er an der UR zu seinem Projekt Popular Philosophy and Early Christianity. Eine der Herausforderungen frühchristlicher Autoren ab der Zeit der Entstehung des Neuen Testaments sei es gewesen, ihre Botschaft so zu formulieren, dass sie für ein gebildetes Publikum verst?ndlich und überzeugend war, erl?utert der Wissenschaftler. ?Sie ben?tigten dazu einen konzeptionellen Rahmen und eine entsprechende Terminologie, um ihre eigenen Gedanken über Gott, die Welt, die Menschheit, Religion, Ethik usw. auszudrücken.“ Ein solches Instrumentarium sei im breiteren Kontext der griechisch-r?mischen Philosophie bereits verfügbar gewesen. ?Anstatt zu versuchen, spezifische philosophische Traditionen als die von einem bestimmten Autor verwendeten Quellen zu identifizieren, schlage ich vor, dass wir die Popul?rphilosophie als Quelle philosophischer Ideen und Terminologie für viele Autoren in der griechisch-r?mischen Zeit betrachten sollten,“ so Professor Johan Thom.
Der Begriff ?Popul?rphilosophie“ bezeichne philosophisches Wissen, das über die Grenzen einer bestimmten philosophischen Tradition hinaus zirkulierte und auch für Menschen ohne formale philosophische Ausbildung zug?nglich gewesen sei. ?Das Centre for Advanced Studies ?Beyond Canon_“ an der Universit?t Regensburg bietet einen hervorragenden Kontext für meine Forschung,“ freut sich der Wissenschaftler. ?Ich wurde vom Direktor herzlich empfangen und die Mitarbeitenden sind alle sehr hilfsbereit und unterstützend. Mit der gro?en Gruppe von Forschungsstipendiat:innen des Centres, die aus vielen verschiedenen L?ndern mit unterschiedlichen Hintergründen und Perspektiven kommen, hatte ich anregende und konstruktive Diskussionen. Auch die w?chentlichen Seminare mit verschiedenen internationalen Wissenschaftler:innen haben meinen eigenen Forschungshorizont erheblich erweitert. Ich würde solche Besuche allen Kolleg:innen w?rmstens empfehlen.“
Bis Ende Juli 2022 ist Lorena Miralles Maciá, Professorin am Fachbereich für Semitistik an der Universit?t Granada, Spanien, als Humboldt-Fellow an der Universit?t Regensburg. Ihr Projekt konzentriert sich auf die Untersuchung von Volkserz?hlungen in der rabbinischen Literatur. Hierbei berücksichtigt Miralles Maciá, dass die analysierten rabbinischen Texte aus derselben Zeit stammen, die bei ?Beyond Canon_“ im Mittelpunkt steht, dass jüdische und christliche Literaturen einen gemeinsamen Hintergrund haben, dass verschiedene Strategien entwickelt wurden, um die gemeinsamen Traditionen anzupassen, neu zu gestalten und zu "judaisieren/christianisieren" sowie dass die kulturübergreifenden Interaktionen von Juden mit ihrer (heidnischen und christlichen) Umgebung eine wichtige Rolle im rabbinischen Judentum spielten. Die Wissenschaftlerin sch?tzt es sehr, ?an den vielf?ltigen Veranstaltungen von ?Beyond Canon_“ teilnehmen und meine Arbeit im Rahmen dieses Projekts diskutieren zu k?nnen, insbesondere mit Experten, die sich mit sp?tantiker Literatur besch?ftigen.“ Von den unterschiedlichen Herangehensweisen an Texte und den Methoden, die von diesem internationalen Team und seinen G?sten angewandt werden, bekommt sie viele wertvolle Impulse: ?Ich bin sicher, dass aus meiner Erfahrung und dem Austausch, den ich hier in Regensburg erleben durfte, zukünftige Kooperationen zu gemeinsamen Themen und Fragestellungen entstehen,“ so die Wissenschaftlerin.
Dr. Jacob Aaron Lollar, Postdoc an der Abilene Christian University, USA, forscht für zwei Jahre an der Universit?t Regensburg zu seinem Projekt The Acts of Thekla in the Syriac Christian Traditions. Sein Projekt wird von der Alexander von Humboldt-Stiftung als Postdoc-Forschungsinitiative gef?rdert. ?Die Thekla-Akten beinhalten eine der popul?rsten frühen Erz?hlungen des christlichen Erbes. Sie wurde in mehrere Sprachen übersetzt und vom zweiten Jahrhundert nach Christus bis in die Gegenwart von Christen gelesen und verehrt“, erl?utert der Wissenschaftler. ?In meinem Projekt konzentriere ich mich auf die syrische ?bersetzung der Erz?hlung und ihren Einfluss innerhalb der verschiedenen syrischsprachigen christlichen Gruppen. Ich beziehe dabei mehrere Disziplinen mit ein, darunter Arch?ologie, Kunstgeschichte und Manuskriptstudien, um zu verstehen, welchen Platz Thekla in der Vorstellungswelt der syrischen Christen einnahm. Am Ende werde ich eine vergleichende Textedition der syrischen Thekla-Akten erstellen, die weitere Textvergleiche mit griechischen, koptischen, arabischen und ?thiopischen Versionen der Erz?hlung erm?glichen soll.“ Zudem will der Forscher zeigen, wie Thekla in den Gedankenwelten der syrischen Christen als asketische Ikone, biblische Heldin und vorbildliche Heilige weitergelebt hat: ?Durch die wissenschaftliche Erforschung der Verehrung Theklas wird ein bedeutender, dauerhafter Aspekt des syrischen Erbes bewahrt, der dadurch auch in seiner globalen religi?sen und historischen Bedeutung erhalten bleibt.“
Dr. Alexandra Nikiforova von der Akademie der Wissenschaften in Moskau ist mit ihrem Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung am Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft von Professor Dr. Harald Buchinger angesiedelt. Nikiforova lehrt und forscht zur byzantinischen Liturgie und Hymnographie. ?Mein tiefer Dank gilt der Humboldt-Stiftung, die trotz der aktuellen politischen Herausforderungen eine Brücke für den bereichernden wissenschaftlichen Austausch zwischen unseren L?ndern gebaut hat,“ sagt die Wissenschaftlerin. In Regensburg arbeitet sie an ihrem Projekt The Triodion Between Jerusalem and Constantinople: Shifting Texts – Shifting Meanings. Edition, Historical Analysis and Comparative Interpretation of the Oldest Manuscript Witness. Das Triodion ist eine Sammlung antiker liturgischer Hymnen für Ostern und die Fastenzeit, die im 6. und 7. Jahrhundert in Jerusalem entstand, sich allm?hlich weiterentwickelte und bis heute von orthodoxen Christen genutzt wird. ?Derzeit untersuche ich die ?lteste erhaltene griechische Triodion-Sammlung aus dem Hymnal-Manuskript der Anastasis-Kirche (deutsch bekannt als ?Grabeskirche‘) in Jerusalem (8–9. Jh.),“ erz?hlt Nikiforova. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网e Studie sei aktuell von hoher Relevanz im Zusammenhang mit den vielf?ltigen Forschungen zur Alt-Jerusalemer Liturgie am Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft an der Universit?t Regensburg.
Nikiforova erkl?rt weiter: ?Durch die Arbeit von Professor Harald Buchinger wurde dieser Standort weltweit bekannt und für Liturgiewissenschaftler zu einem begehrten Kooperationspartner. Mein Aufenthalt in Regensburg hat bereits alle meine Erwartungen übertroffen. In einem Monat habe ich mehr profitiert als in jahrelanger Arbeit zu Hause, da ich in alle Aktivit?ten sowohl des Lehrstuhls für Liturgiewissenschaft als auch von ?Beyond Canon_“ involviert war und durch meine Teilnahme an einem Workshop zum Triodion im Mai, an der internationalen Konferenz zur Jakobusliturgie in Regensburg Anfang Juni 2022 und am Kongress der Society of Oriental Liturgy in Thessaloniki viel lernen und gro?artiges Feedback von meinen Kollegen bekommen konnte.“
Die Humboldt-Stiftung verlieh auch Professorin Dr. Nina Glibeti? (University of Notre Dame, USA) ein Forschungsstipendium im Bereich Liturgiewissenschaft. Nach ihrem dreimonatigen Aufenthalt im Sommer 2022 an der Universit?t Regensburg plant sie, im akademischen Jahr 2023–2024 wiederzukommen. Nina Glibeti? war bereits mehrmals Adjunct Fellow von ?Beyond Canon_“. ?Es ist für mich eine gro?e Freude und Ehre, ein Humboldt-Stipendium unter dem Dach des Regensburger Lehrstuhls für Liturgiewissenschaft und in Zusammenarbeit mit dem DFG-Projekt ?Beyond Canon_“ zu erhalten,“ freut sich Professorin Glibeti?. Ihr Forschungsprojekt widmet sich den Entwicklungen von Konzepten und Praktiken rund um Reinheit und heiligen Raum in der byzantinisch-christlichen Liturgie: W?hrend frühe Christen diskutierten, ob auch sie jüdische und griechisch-r?mische Konzepte von ?heiligem Raum“ anwenden k?nnten und ob Praktiken der rituellen (Un-)Reinheit in der kirchlichen Gemeinschaft von Bedeutung w?ren, h?tten diese Themen im Laufe der byzantinischen Liturgiegeschichte eine deutliche Entwicklung erfahren. Durch das Studium griechischer und anderssprachiger liturgischer Handschriften k?nne man die Entstehung von Gebeten und Riten im Laufe des Mittelalters identifizieren, die sich mit der Reinigung von Klerikern und Laien, um das Kirchengeb?ude zu betreten und an den liturgischen Gottesdiensten teilzunehmen, befassten.
In ihrer Forschung verfolgt die Professorin die historische Entwicklung solcher Riten innerhalb der formellen Liturgie, von klerikalen Eintrittsriten bis hin zu Ritualen rund um die Reinigung von Frauen nach der Geburt und von Hebammen. ?Ich freue mich besonders darauf, hier in Regensburg im interdisziplin?ren Kontext verschiedener Dozent:innen und Stipendiat:innen zu arbeiten, da meine eigene Arbeit versucht, die liturgische Geschichte dieser Riten mit theologischen, spirituellen, architektonischen und politischen Entwicklungen zu kontextualisieren, die die Religionsgeschichte des ?stlichen Mittelmeerraums und darüber hinaus gepr?gt haben.“
Ebenfalls von der University of Notre Dame kommt Professor Dr. Gabriel Radle, der in seinem Humboldt-Projekt die Lebenszyklus-Liturgien in der Sp?tantike und in Byzanz erforscht, ein Projekt, das sich an sein kürzlich abgeschlossenes erstes Buch über das Trauungsritual anschlie?t: ?Im Mittelmeerraum kannte man in der Antike verschiedene ?bergangsriten, die wichtige Entwicklungsphasen im Leben von Kindern und Jugendlichen markierten. In meiner Arbeit gehe ich der Frage nach, wie diese Riten in sp?tantiken christlichen Gemeinschaften durch die Neuformulierung formaler liturgischer Riten für solche Anl?sse sowie durch die Schaffung neuer ?bergangsriten fortgeführt wurden,“ so der Wissenschaftler. Zu solchen Lebenszyklus-Liturgien geh?rten beispielsweise ein Ritus für den ersten Haarschnitt eines Kleinkindes, die erste Rasur eines Mannes oder die Annahme einer Kopfbedeckung durch eine junge Frau in der Pubert?t. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网e Riten f?nden sich in den frühesten liturgischen Handschriften, gr??tenteils unver?ffentlichte Quellen. ?Die Universit?t Regensburg ist ein idealer Ort, um an meinem Projekt zu arbeiten: aufgrund ihres exzellenten Rufs auf dem Gebiet der Liturgiewissenschaft und des breiten Spektrums an Expert:innen des frühen und sp?ten antiken Christentums und Judentums, die derzeit bei ?Beyond Canon_“ besch?ftigt sind,“ freut sich Radle.
Ein zweij?hriges Humboldt-Forschungsstipendium am Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft wird Dr. Pawe? Figurski (Akademie der Wissenschaften, Warschau) ab September 2022 wahrnehmen. Sein ideologiekritisches Projekt zum Thema Medieval Liturgy and the Making of Poland. A Study in Medieval State-Formation, Peace-Building, and Strategies of Identification (until c. 1300) fügt sich hervorragend in den Forschungskontext im Bereich der mittelalterlichen Liturgie sowie des ?Forum Mittelalter“ ein und leistet einen methodisch innovativen Beitrag zu den Area Studies im Bereich der Osteuropaforschung, die das Profil der Universit?t Regensburg mitpr?gen.
Dr. Evan Freeman ist für zwei Jahre (bis 2023) in Regensburg und ebenfalls Gastwissenschaftler am Lehrstuhl von Harald Buchinger. Sein Forschungsprojekt (externer Link, ?ffnet neues Fenster) besch?ftigt sich mit der Kunst und Architektur des Ostr?mischen (Byzantinischen) Reiches und des weiteren mittelalterlichen Mittelmeerraums. Schlie?lich: Das Humboldt-Projekt von Dr. Ramez Mikhail (2019 bis 2022) über den Wortgottesdienst der koptischen Liturgie ist inzwischen abgeschlossen und eine Monographie in Vorbereitung.
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