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Aktuelles: ?kologische Schieflage

Wie sich die Pflanzenvielfalt in Deutschland in den letzten 100 Jahren ver?ndert hat

28. Oktober 2022, von Bastian Schmidt

  • Biologie und Vorklinische Medizin
  • Forschung

In Deutschlands Pflanzenwelt hat es in den letzten einhundert Jahren deutlich mehr Verlierer als Gewinner gegeben. W?hrend die Best?nde vieler Arten geschrumpft sind, konnten einige ihre Vorkommen massiv ausweiten. Gewinne und Verluste sind also sehr ungleich verteilt. Das aber ist ein Indiz für einen gro?r?umigen Verlust an Artenvielfalt, warnt ein Forschungsteam um Dr. Ute Jandt und Prof. Dr. Helge Bruelheide von der Martin-Luther-Universit?t Halle-Wittenberg (MLU) im Fachjournal ?Nature“. Ein gro?er Teril der Datens?tze für den süddeutschen Raum wurden von Prof. Dr. Peter Poschlod vom Lehrstuhl für ?kologie und Naturschutzbiologie der Universit?t Regensburg und seinem Team erhoben. 

Die Sache klingt paradox: Weltweit schrumpft die Artenvielfalt in alarmierendem Tempo. Doch auf lokaler Ebene k?nnen viele Studien keinen gro?en Verlust an Tier- und Pflanzenarten feststellen. ?Das hei?t aber nicht, dass dort keine bedenklichen Entwicklungen im Gange w?ren“, sagt der Geobotaniker Helge Bruelheide. Schlie?lich komme es auch darauf an, um welche Arten es sich handelt. Werden beispielsweise in einem Moor oder auf einem Magerrasen die speziell angepassten ?berlebenskünstler von Allerweltspflanzen verdr?ngt, bleibt die Zahl der Arten in der Bilanz h?ufig gleich. Trotzdem geht damit ein Stück Vielfalt verloren, weil sich die einst sehr unterschiedliche Vegetation verschiedener Lebensr?ume immer ?hnlicher wird. 
Doch wie stark ist dieser Trend in Deutschland? Um das herauszufinden, hat das Team eine Fülle von lokalen Studien zusammengetragen. Zahlreiche Fachleute haben dafür Daten von mehr als 7.700 Fl?chen zur Verfügung gestellt, deren Pflanzenbestand zwischen 1927 und 2020 mehrfach erfasst wurde. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网e bisher zum Teil unver?ffentlichten Untersuchungen decken eine breite Palette an Lebensr?umen ab und liefern Informationen über insgesamt fast 1.800 Pflanzenarten. Das ist etwa die H?lfte aller B?rlappe, Farne und Samenpflanzen, die in Deutschland vorkommen. ?Solche Zeitreihen k?nnen sehr wertvolle Informationen liefern“, sagt Ute Jandt. Denn auf den oft nur zehn oder zwanzig Quadratmeter gro?en Fl?chen k?nne die botanische Volksz?hlung sehr genau erfolgen. ?Die Wahrscheinlichkeit, dass Pflanzen dort unbemerkt verschwinden oder neu auftauchen, ist gering.“ 
Die Analyse der Daten zeigt bei 1.011 der untersuchten Arten einen negativen und bei 719 einen positiven Bestandstrend. Es gab in den letzten einhundert Jahren also 41 Prozent mehr Verlierer als Gewinner. ??berraschender war aber, dass sich die Verluste viel gleichm??iger verteilen“, sagt Helge Bruelheide. Das hat das Team mithilfe des Gini-Koeffizienten herausgefunden, mit dem man normalerweise die Verteilung von Einkommen und Eigentum analysiert. 百利宫_百利宫娱乐平台¥官网er Index zeigt zum Beispiel, dass in etlichen L?ndern der Erde die wenigen Reichen immer reicher und dafür viele Arme immer ?rmer werden. Und einen ganz ?hnlichen Trend gibt es auch in Deutschlands Pflanzenwelt: Die Verluste sind gleichm??iger auf viele Verlierer verteilt, w?hrend sich die Gewinne auf weniger Gewinner konzentrieren. 
Zu Letzteren geh?ren zum Beispiel die Sp?tblühende Traubenkirsche und die Roteiche, die beide aus Nordamerika stammen, inzwischen aber auch viele W?lder in Deutschland erobert haben. Auch die frostempfindliche Europ?ische Stechpalme hat im Zuge des Klimawandels immer mehr Terrain gewonnen. Im gro?en Lager der Verlierer finden sich dagegen viele Ackerwildkr?uter wie die Kornblume, Wiesenbewohner wie die Acker-Witwenblume und Feuchtgebietsarten wie der Teufelsabbiss. 
Das st?rkste Ungleichgewicht zwischen Gewinnen und Verlusten gab es der Studie zufolge zwischen Ende der 1960er Jahre und dem Beginn des 21. Jahrhunderts. ?Eingel?utet wurde diese Phase durch die starke Intensivierung der Landnutzung“, erkl?rt Helge Bruelheide. ?Inzwischen aber zeigen sich auch die Erfolge von Naturschutzma?nahmen, so dass sich der Trend etwas abgeschw?cht hat.“ 
Auch in Süddeutschland, von wo das Team von Prof. Peter Poschlod vom Lehrstuhl für ?kologie und Naturschutzbiologie umfangreiche Datens?tze beigetragen hat, konnten trotz der hohen geologischen und Landschafts-Vielfalt die gleichen Trends beobachtet werden. Ein deutliches Beispiel ist die durch die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie besonders geschützte Arnika

Oder auch die (Feucht-)Wiesenart Teufelsabbiss (Succisa pratensis). Eine Dissertation, am Lehrstuhl geht den Gründen des Rückgangs der Arnika nach in Baden-Württemberg nach und wird in Kürze abgeschlossen. Eine weitere Dissertation im Regierungsbezirk Oberfranken besch?ftigt sich u.a. mit dem Teufelsabbiss. Die Ergebnisse machen noch einmal deutlich, so Prof. Dr. Poschlod, dass neben dem in situ-Schutz (Schutz im Lebensraum) auch der ex situ-Schutz (in Saatgut-Genbanken und /oder Erhaltungskulturen in Botanischen G?rten) dieser Wildpflanzen dringend institutionell umgesetzt werden sollte. In dem vom Lehrstuhl koordinierten Projekt Wildpflanzenschutz Deutschland ist Regensburg der Vorreiter in Süddeutschland und weist hier ein Alleinstellungsmerkmal auf.
Ob die o.g. Trends auch für andere Regionen der Erde gelten, wei? bisher niemand. Deshalb pl?diert das Team dafür, ?hnliche Datens?tze aus aller Welt zu sammeln und auszuwerten. Denn die ungleichm??ige Verteilung von Gewinnen und Verlusten kann ein frühes Warnzeichen für einen Wandel der biologischen Vielfalt sein, der letztendlich zum Aussterben von Arten führt.

Originalpublikation:
Jandt, U., Bruelheide, H., Jansen, F. et al. More losses than gains during one century of plant biodiversity change in Germany. Nature (2022). https://doi.org/10.1038/s41586-022-05320-w (externer Link, ?ffnet neues Fenster)
DOI: https://doi.org/10.1038/s41586-022-05320-w (externer Link, ?ffnet neues Fenster)

Projekt Wildpflanzenschutz Deutschland
https://wips.deutschlandflora.de/wips-projekt (externer Link, ?ffnet neues Fenster)

Foto: Peter Poschlod
Arnica montana

Kontakt aufnehmen

Prof. Dr. Peter Poschlod

Lehrstuhl für ?kologie und Naturschutzbiologie
Institut für Pflanzenwissenschaften
Fakult?t für Biologie und Vorklinische Medizin
Universit?t Regensburg
Tel.: +49-(0)941-943-3108
E-Mail: Peter.Poschlod@biologie.uni-regensburg.de

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