Historische Berichte über Gerüche und Düfte sind wertvolle Quellen für die Geschichtswissenschaft. Denn schon immer haben Menschen das, was sie riechen, mit Kontexten und Bedeutung versehen: Als im fünften Jahrhundert v. Chr. die Pest in Athen wütet, vermutet Thukydides ihren Ursprung in den üblen Gerüchen, die über der Stadt liegen, ausgedünstet von Menschen und Boden. {web_name} ist nur eine olfaktorische Perspektive auf die antike Gro?stadt, die das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gef?rderte Graduiertenkolleg (GRK) 2337 ?Metropolit?t der Vormoderne“ an der Universit?t Regensburg (UR) in seiner Jahrestagung 2023 thematisierte.
Ihre Anziehungskraft führte bei vielen Metropolen der europ?ischen Antike und des Mittelalters zu Strahlkraft, Reichtum und Wachstum. Doch die damit verbundenen infrastrukturellen Leistungen für die Bewohner*innen dieser St?dte – ihre Versorgung, die Beseitigung von Unrat und Dreck, generell Hygiene - waren Herausforderungen, die man vielerorts offenbar nicht besonders gut meisterte. Wie werden unangenehme Gerüche in Texten beschrieben? Wann geht es um individuelle Wahrnehmung von ?angenehm“ und ?unangenehm“, wo hingegen greifen gesellschaftliche Vorstellungen? Welche kultur- und sozialgeschichtlichen Erkenntnisse lassen sich daraus ziehen?
Das Ende der Verkl?rung
Einblicke gibt in einer kurzweiligen und kenntnisreichen Keynote der renommierte Altertumswissenschaftler Professor Mag. Dr. Dr. h. c. Günther E. Thüry (Paris Lodron Universit?t Salzburg). Der Autor des Klassikers ?Müll und Marmors?ulen“ besch?ftigt sich seit vielen Jahren mit Siedlungshygiene in antiken r?mischen St?dten und r?umte als einer der ersten Wissenschaftler mit dem verkl?rten Blick auf die antiken St?tten auf: ?Eine realistische Vorstellung vom r?mischen Stadtleben l?sst sich nur bekommen, wenn man auch anrüchige Aspekte und Geruch nicht vernachl?ssigt“, sagt Thüry. Er zitiert Arch?ologen des 19. Jahrhunderts, die ihren Arbeitern ob des üblen Gestanks aus verwesten B?den bei Grabungen Pausen geben mussten. Er erz?hlt von Pompeji in den 1960er Jahren, wo freigelegte Amphoren den Geruch 2000 Jahre alter Fischsauce verstr?mten.
Thüry illustriert seinen Vortrag mit experimentalarch?ologischem Bildmaterial. Er klassifiziert und kategorisiert. Etwa ?Produktionsgerüche“: Dazu geh?ren negative Gerüche aus Abwasser und zurückgelassenen Abf?llen, der Dunst der Tavernen, der Zubereitung von Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten. Damit vermischte sich der Rauch von R?ucheranlagen für Fleisch und K?se. Besonders an Feiertagen, sagt Thüry: ?Wenn dann noch Sitzm?bel und Tische auf die Stra?e getragen wurden, stank die ganze Stadt.“ Professorin Dr. Anna Novokhatko von der Universit?t Thessaloniki wird dann aber auch ganz andere Gerüche erw?hnen - Knoblauch, K?se und attischen Honig -, wenn sie die Wahrnehmung der Stadt in der altgriechischen Kom?die bei Aristophanes analysiert.

Lebende Tiere, tote Tiere
Es gab viele Geruchsplagen, von denen antike Autoren berichten. Vieh wurde in die Innenst?dte getrieben, um es zu verkaufen oder als Opfertiere zu schlachten. In Pompeji etwa hat man St?lle für Pferde, Rinder und Esel, die als Zug- und Reittiere gehalten wurden, ausgegraben. Es gab Orte auch für Tiere, die für Auftritte in Amphitheatern gehalten wurden. Tierkadaver lagen ebenfalls mancherorts, von erschlagenen Hunden, verendeten Pferden. Auf Stra?en sollte das eigentlich nicht sein, berichten antike Autoren. Es passierte trotzdem.
Tierknochen und Tierhaut, Rohstoffe für Leimsieder, verbreiteten ?sehr übelriechende D?mpfe, welche Arbeiter und Nachbarschaft bel?stigen“ zitiert Thüry antike Beobachter, und dann gab es die Gerber und fullones: Sie stellten Tuch her, f?rbten es, reinigten Kleidung und nutzten dafür Schwefel, oft auch Exkremente. Hinzu kam Rauch, von überall vorhandenen Feuerungsanlagen, ?fen und Lampen der Haushalte, eisen- und bronzeverarbeitender Betriebe, T?pfereien: ?Typisch ist für r?mische St?dte, dass sich geruchsintensive Gewerbe nicht in bestimmten Vierteln konzentrierten, sondern über die ganze Stadt verteilten.“ Marina Pizzi (UR) widmet ihre ?berlegungen den verarbeitenden Betrieben.
Wollte man den Geruch verhindern?
In einem der Tagungspanel berichtet Adrian Linz (UR) vom Gestank durch Kulthandlungen: In Syrakus stand der wohl gr??te Altar der Antike, auf dem sich 450 Stiere gleichzeitig verbrennen lie?en. In Athen gedachte man mit dem Opfern von 500 einj?hrigen Ziegen der Schlacht von Marathon. Kilometerlange Prozessionen und Triumphzüge, mit hunderten, oft tausenden von Pferde- und Eselsw?gen zogen F?kalspuren durch die antiken r?mischen St?dte. Empfanden die Stadtbewohner*innen der Antike die Gerüche ritueller Handlungen als unangenehm?
Wohl schon. Reliefs lassen vermuten, dass man der Geruchswolke mit dem Einsatz von Weihrauch entgegenwirkte. Er war über Jahrtausende Mittel und Teil ritueller Kommunikation und übernahm dabei auch eine praktische Rolle, in dem er den Geruch der Leichen auf Beerdigungen übertünchte. Professorin Dr. Annette Haug (Universit?t Kiel) besch?ftigt sich mit den Strategien eines ?olfaktorischen Designs im Stadtraum“ und den Inschriften, die dazu aufforderten, die Dinge in den Griff zu bekommen. In Pompeji scheint dies kaum gelungen zu sein, berichtet Dr. Laura Nissin (Aarhus Institute of Advanced Studies).
Abf?lle und Exkremente
Zum Geruch kamen allgegenw?rtige Müllablagerungen. ?Man kann sagen, dass antike Literatur eine unersch?pfliche Fundgrube ist“, sagt Thüry, der unl?ngst auf eine Stelle gesto?en ist, ?die klar best?tigt, dass in r?mischen Siedlungen keine kommunale Müllabfuhr existierte“. Für Müllentsorgungen war die Bürgerschaft selbst verantwortlich. Arch?ologische Untersuchungen zeigten regelm??ig, dass das nur sehr bedingt funktionierte: ?Es gab Deponien, aber trotzdem lagen Abf?lle überall herum. Das galt für Inneres von Geb?uden, aber auch für ?ffentlichen Raum.“
Inzwischen hat Thüry bei Plutarch einen literarischen Hinweis gefunden, der für absichtliche Müllverbrennung spricht. Doch meistens blieben die Abf?lle, etwa aus Küchen und Schlachtereien, einfach irgendwo auf den Stra?en liegen. Amphoren mit alter Fischsauce, ?l oder Wein deponierte man auf einem Haufen, etwa in den Hafenvierteln. Dem Gestank versuchte man mit dem Streuen von Kalk zwischen den Scherben einzud?mmen.
Ein weiteres ungel?stes Thema: Exkremente, tierische wie menschliche. Die Arch?ologie identifiziere sie immer wieder als Bestandteil üblicher antiker Müllablagerung, berichtet Thüry, auf ?normalen“ Deponien, oft auf Stra?en. Für die Latrinen fehlte ausreichend Wasserdruck, und auch die r?mische Kanalisation war st?ranf?llig und das Netz nicht vollst?ndig. Abwasser lief ungekl?rt in sauberes Wasser. Oder einfach auch auf die Stra?e. Man goss alle m?glichen Flüssigkeiten aus dem Fenster, erz?hlt Thüry, urinierte auf offener Stra?e oder nutzte Brunnen als Pissoir. Erlaubt war das alles nicht immer.
?berschaubare Gegenma?nahmen
Es gab Ma?nahmen von Beh?rden und Privaten zur Verbesserung der Situation - etwa eine gro?e Zahl an Gemeindeordnungen. Dr. Francesco Bono (Università Parma) setzt sich bei der Tagung mit rechtlichen Dokumenten zum Thema auseinander. Denn Stra?en galt es verkehrstüchtig zu halten, Dreck aus dem Fenster zu werfen war in vielen St?dten eigentlich verboten. Professorin Dr. Anna Modigliani (Università degli Studi della Tuscia) verweist darauf, dass Festtagsprozessionen, die sich durch die St?dte bewegten, oft schon Grund genug waren, die Stra?en freizuhalten. Professor Dr. Jorit Wintjes (Universit?t Würzburg) widmet sich dem olfaktorischen Fu?abdruck der r?mischen Armee in der Kaiserzeit: Dabei geht es weniger um Schlachten als um die Interaktion des Berufsmilit?rs mit der übrigen st?dtischen Welt.
Der Gestank der St?dte war ein gro?es Thema über Jahrhunderte hinweg. Das illustrieren auch die Vortr?ge von Ronja Schünemann (TU Chemnitz) und Dr. Julia Seeberger (Universit?t Erfurt), die sich mit besonderen Ereignissen aus dem 12. und 13. Jahrhundert besch?ftigen. Der Blick auf London im 18. Jahrhundert von Professorin Dr. Franziska Neumann (TU Braunschweig) wirft allerdings andere Fragen auf – die Quellen für die gr??te Metropole des Zeitalters seien ?geruchsblind“, so die Historikerin. Warum, ist bislang unklar. Denn auch London duftete nicht: Die Anglistin Sophie Bantle (Universit?t Freiburg) hat eindeutige Hinweise dafür in den detektivischen Ermittlungen in den ?Frankenstein Chronicles“ des 19. Jahrhunderts gefunden.
Warum geschah nicht mehr gegen die Zust?nde, die man als Plage empfand? Und was dachten die Menschen darüber? Sie waren offenbar auch damals nicht begeistert. Thüry berichtet, er habe um die 30 Erw?hnungen bel?stigter Nasen gefunden. Gerüche, so vermutet man in einer Zeit, die Bakterien und Viren noch nicht kennt, verbreiten Krankheiten: Als im fünften Jahrhundert vor Christus die Pest in Athen wütet, vermutet Thukydides ihren Ursprung in den üblen Gerüchen, die über der Stadt liegen, berichtet vom míasma, giftigen Ausdünstungen der Menschen und des Bodens, die über die Luft Krankheiten verbreitet haben sollen. Dr. Markus Zimmermann und Professor Dr. Giuseppe Squilacce (Università della Calabria) blicken w?hrend der Tagung n?her auf diese Aspekte. Professorin Dr. Anna Esposito (Università La Sapienza) l?sst den Blick über die Stadt hinaus, in die D?rfer und Siedlungen Latiums schweifen.
Zum Ende seines Vortrags fragt Thüry endlich, warum man sich eigentlich nicht um Verbesserungen bemühte, wenn man sich am Geruch st?rte, ihn auch als Gesundheitsrisiko betrachtete. Warum nahm man das in Kauf? Sei das nicht überraschend? Nun – nicht wirklich, glaubt der Wissenschaftler. Menschen neigten ganz offensichtlich zu Selbstgef?hrdungs- und Selbstsch?digungsverhalten. ?Wir sehen es heute, im Angesicht der Katastrophe.“
Informationen/Kontakt
Die Tagung fand in enger Kooperation mit der Universit?t Bayreuth (externer Link, ?ffnet neues Fenster) statt.
?ber das DFG-Graduiertenkolleg 2337 (externer Link, ?ffnet neues Fenster)
?ber Prof. Mag. Dr. Dr. h. c. Günther E. Thüry (externer Link, ?ffnet neues Fenster)
UR Research: Dynamics in the Global World (externer Link, ?ffnet neues Fenster)