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Aktuelles: Versteckte Muster: Missbrauch und seine Vertuschung

Transdisziplin?rer DFG-Workshop: "The Gendered Power System in the Catholic Church and its Impact on Women in Religious Communities"

29. Juni 2023, von Professur für Pastoraltheologie und Homiletik

  • Katholische Theologie
  • Forschung

Geschlechtsspezifischen Faktoren im Machtsystem der katholischen Kirche: Die Auswirkungen dieser Faktoren, insbesondere auf Ordensfrauen und weibliche Angeh?rige religi?ser Gemeinschaften, thematisierte unl?ngst ein transdisziplin?rer DFG-Workshop an der Universit?t Regensburg, den das Team der Professur für Pastoraltheologie und Homiletik um Professorin Dr. Ute Leimgruber gemeinsam mit Professorin Dr. Hildegund Keul, Leiterin des DFG-Projekts "Verwundbarkeiten" an der Julius-Maximilians-Universit?t Würzburg veranstaltete.

Ein Fazit des internationalen Fachgespr?ch von 8. bis 10. Juni in den R?umen der Universit?t Regensburg: Hidden Patterns, die sich durch den Missbrauch und die Vertuschung des Missbrauchs an erwachsenen Frauen ziehen, sind ein internationales Ph?nomen. Als solches müssen sie auch in internationalen Kooperationen beschrieben, bearbeitet und schlie?lich ver?ndert werden.

Katholische Kirche: Machtfülle von M?nnern

Professorin Dr. Kathleen McPhillips von der University of Newcastle (Australien) er?ffnete den Workshop mit ihrem Vortrag zu spezifischen Mechanismen geschlechtsspezifischer Gewalt im Kontext der katholischen Kirche. Im Kontext der Frage nach der Entstehung geschlechtsspezifischer Formen von Gewalt beschrieb McPhillips die katholische Kirche als Organisation, in der eine extreme Fülle an Macht in den H?nden sehr weniger, ausschlie?lich m?nnlicher Mitglieder dieser Organisation konzentriert ist. McPhillips betonte: ?Es war und ist unausweichlich, dass innerhalb dieses Systems Gewalt verübt wird.“

McPhillips verdeutlichte dies am Beispiel der spezifischen Kontextbedingungen, innerhalb derer weibliche Ordensfrauen im Australien des 20. Jhd. sowohl Betroffene als auch T?terinnen von k?rperlichem, emotionalem und sexuellen Missbrauch wurden. So schr?nkte die extreme Abh?ngigkeit der Ordensfrauen vom zust?ndigen Ortsbischof ihre Wirkm?chtigkeit im Aufdecken von Missbrauchstaten selbst dort erheblich ein, wo die Ordensfrauen – etwa wegen ihrer Position als Schulleiterinnen oder Ordensobere – bereichsspezifisch gro?e Macht besa?en.

Empowerment und Handlungsf?higkeit

Professorin Dr. Katharina Karl von der Katholischen Universit?t Eichst?tt-Ingolstadt sprach über die Bedingungen von Empowerment und Handlungsf?higkeit am Beispiel junger Frauen in Buenos Aires. In den biographischen Interviews mit den Frauen lie?en sich laut Karl jeweils zentrale Erlebnisse von Vulnerabilit?t und Empowerment identifizieren, darunter etwa Wohnungslosigkeit, h?usliche Gewalt und die Erfahrung von Rassismus auf der einen und die innere Freiheit, nein zu sagen, die Erfahrung von Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die eigene Berufswahl und die Unterstützung durch soziale Bezugssysteme auf der anderen Seite.

Karl betonte, dass sich das Erleben von Empowerment in internale und externe Faktoren differenzieren lasse. Externe Faktoren, wie ein positives Erleben von Gemeinschaft, das Erfahren von Selbstwirksamkeit, soziale Unterstützung und Anerkennung, seien aber in hohem Ma?e abh?ngig von den vorherrschenden Machtsystemen und l?gen deshalb in der systemischen Verantwortung all derer mit Gestaltungsmacht innerhalb des Systems.

Darstellung und Wahrnehmung sexuellen Missbrauchs

Dr. Doris Reisinger von der Goethe-Universit?t Frankfurt a. M. beschloss den ersten Workshoptag mit ihrem Vortrag über die Darstellung und Wahrnehmung des sexuellen Missbrauchs von Ordensfrauen. Sie konstatierte die Gleichzeitigkeit von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des Themas. W?hrend die kirchengeschichtliche Forschung, Theologie und auch die Missbrauchsstudien der deutschen Bistümer dem Thema kaum Aufmerksamkeit schenken, wird der sexuelle Missbrauch von Ordensfrauen in (erotischer) Literatur, der Boulevard-Presse, aber auch in Gerichtsverfahren und Selbstzeugnissen von Betroffenen durchaus thematisiert.

Reisinger zeigte an mehreren Beispielen, wie die M?glichkeiten betroffener Ordensfrauen die Geschichte ihres Missbrauchs zu erz?hlen vielfach eingeschr?nkt wurden und werden. Zum einen durch die Macht von Klerikern und ihrem Interesse am Aufrecht-Erhalten eines Idealbildes weiblichen monastischen Lebens. Zum anderen durch den Einsatz des sexuellen Missbrauchs von Ordensfrauen, etwa als Mittel zur Unterhaltung, der Befriedigung voyeuristischen Interesses oder durch das Framing als Werkzeug anti-katholischer Propaganda. Reisinger betonte: Das Interesse Dritter an den Berichten von Missbrauch an Ordensfrauen hat das Potential die Stimmen der Ordensfrauen zum Schweigen zu bringen. Forschung und ?ffentlichkeit sollten ein dringendes Interesse daran haben, den Originalstimmen der Betroffenen so nah wie m?glich zu kommen.

Ambiguit?t von T?terinnen und Betroffenen

Dr. Tracy McEwan von der University of Newcastle (Australien) stellte das Fallbeispiel der Sisters of Charity vor, einer Gemeinschaft irischer Ordensfrauen, die 1838 in Australien mit dem Bau von Schulen, Waisenh?usern und Krankenh?usern begannen. McEwan zeigte, in welch massiven geschlechtsspezifischen Abh?ngigkeiten sich die Ordensfrauen bereits kurz nach ihrer Ankunft befanden, als der Erzbischof von Sydney die noch kleine Gemeinschaft in Australien versuchte (kirchen-)rechtlich von der Kongregation in Irland abzutrennen. McEwan beleuchtete auch die Ambiguit?t, in der sich die Ordensfrauen als Teil eines klerikalistischen Systems sowohl als Betroffene von geschlechtsspezifischer Machtungleichheit als auch als T?terinnen befanden.

Missbrauch von Ordensfrauen

Dr. Rocio Figueroa vom Good Shepherd College in Auckland (Neuseeland) pr?sentierte den Teilnehmerinnen des Fachgespr?chs einen Workshop, der im vergangenen Januar in Nairobi durchgeführt worden war. An diesem Workshop hatten 30 Ordensfrauen verschiedener Ordensgemeinschaften und verschiedener Afrikanischer L?nder teilgenommen. Ziel des Workshops war es, den sexuellen und spirituellen Missbrauch von Ordensfrauen in Afrika zu thematisieren. Figueroa berichtete von den sorgf?ltigen Planungen, die n?tig waren, um den Workshop überhaupt durchführen zu k?nnen. Um es den Teilnehmerinnen zu erm?glichen, das Tabu rund um das Thema sexueller Missbrauch brechen zu k?nnen, war der erste Teil des Workshops auf die Frage gerichtet, wie die Ordensfrauen die ?berlebenden von sexuellem Missbrauch unterstützen und begleiten k?nnen.

Erst im zweiten Teil wurde mit dem Thema spiritueller Missbrauch der Fokus auf die Teilnehmerinnen als m?gliche Betroffene gelegt. Obwohl seit der Durchführung des Workshops in Nairobi erst fünf Monate vergangen waren, berichtete Figueroa bereits von ersten Multiplikationserfolgen: Weil die Materialien, mit denen das Team w?hrend des Workshops gearbeitet hatte, ohne Zugriffsbeschr?nkungen im Internet zug?nglich waren, haben bereits erste Ordensfrauen den Workshop in ihren eigenen Gemeinschaften durchgeführt und das Thema des spirituellen und sexuellen Missbrauchs mit Hilfe des Toolkit "Accompanying Survivors of Sexual Harm" und der Video-Reihe "Red Flags in Religious Life" zur Sprache gebracht. Figueroa betonte: “The only potential for change is through the women themselves.

Dürftige Forschungslage zu T?terinnen

Die letzte Referentin des Vormittags, Dr. Barbara Haslbeck, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universit?t Regensburg, gab wertvolle Einblicke in ihr laufendes Forschungsprojekt zu Ordensfrauen, die als Erwachsene und im Ordensleben sexuell missbraucht worden sind. Sie betonte die bislang ?u?ert dürftige Forschungslage zu T?terinnen und sprach von einer ?geschlechtsspezifischen Einseitigkeit der bisherigen Erforschung von Missbrauch in der (katholischen) Kirche. Bisher sind Frauen sowohl als T?terinnen als auch als ?berlebende vernachl?ssigt worden.“

Der Nachmittag des zweiten Workshoptages wurde von Magdalena Hürten, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universit?t Regensburg, er?ffnet. Hürten pr?sentierte zentrale Ergebnisse ihres kurz vor dem Abschluss stehenden Promotionsprojekts, das sich mit den M?glichkeitsbedingungen von Wissensproduktion im Kontext Missbrauch besch?ftigt. Dazu untersucht sie exemplarisch die Gründungsgeschichte der St. Franziskusschwestern Vierzehnheiligen (1890–1921), in der es Missbrauchsf?lle an Ordensfrauen und weiteren erwachsenen Frauen durch den Gründer gab.

Hürten arbeitet in ihrer Dissertation mit dem Konzept der epistemischen Ungerechtigkeit (epistemic injustice) von Miranda Fricker, das davon ausgeht, das u. a. geschlechtsspezifische Normen die Weitergabe und Bildung von Wissen – auch über sexuellen Missbrauch – beeinflussen. So wird etwa Zeug:innen Glaubwürdigkeit auch in Abh?ngigkeit von ihrem Geschlecht zugesprochen (testimonial injustice).

Verschleiernde Deutungen

Dr. Regina Heyder, Referentin am theologisch-pastoralen Institut Mainz, systematisierte Beobachtungen aus aktuellen Missbrauchsstudien unter der Perspektive der vermessenen K?rper. In zahlreichen Zeugnissen ?berlebender sexuellen Missbrauchs durch Kleriker finden sich Beschreibungen von Missbrauchstaten, in denen die ?berlebenden von einem Abmessen und Vermessen ihrer K?rper durch die T?ter sprechen.

So wird in der Logik des T?ters der K?rper der Betroffenen z. B. vom T?ter in Bereiche eingeteilt, die nicht berührt werden dürfen, und in solche, in denen Berührungen m?glich sind, ohne dass die Keuschheit der Betroffenen und das Z?libatsversprechen des T?ters durch die sexuellen Handlungen berührt werden. Gleichzeitig sei auf der Seite der T?ter in der verschleiernden Deutung der Missbrauchstat als Liebeshandeln Gottes beinahe ein Verschwinden des K?rpers des T?ters zu beobachten, berichtete Heyder. Missbrauch tritt in dieser Deutung ganz hinter dem vermeintlichen Handeln Gottes zurück. 

Johanna Beck, Literaturwissenschaftlerin und Mitglied im Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz, gab zum Abschluss des zweiten Konferenztages einen Einblick in ihre eigene Geschichte des sexuellen und spirituellen Missbrauchs innerhalb der Katholischen Pfadfinderschaft Europas (KPE). Neben den systemischen Faktoren innerhalb der KPE, die den Missbrauch erm?glichten und begünstigten, betonte Beck auch das erhebliche Retraumatisierungspotential, das die Arbeit der Betroffenen in den Betroffenenbeir?ten der Katholischen Kirche derzeit kennzeichnet.

Kategorien zur Analyse von Mustern

Professorin Dr. Hildegund Keul, Leiterin des DFG-Forschungsprojekts ?Verwundbarkeiten“ an der Universit?t Würzburg, er?ffnete den dritten und letzten Tag des Workshops mit einem Referat zu Vulnerabilit?t, Resilienz und Vulneranz als zentralen Kategorien zur Beschreibung und Analyse derjenigen Muster (Hidden Patterns), die sich in den zahllosen dokumentierten F?llen des spirituellen und sexuellen Missbrauchs erwachsener Frauen erkennen lassen. Keul stellte fest, dass die Debatte um Vulnerabilit?t (Verletzlichkeit) im Kontext des sexuellen Missbrauchs simplifizierend und einseitig auf die Vulnerabilit?t der ?berlebenden verengt geführt werde.

Die potenziell vulnerante (d. h. zu Gewalt bereite) Vulnerabilit?t religi?ser Gemeinschaften, die sich etwa in der aus Angst vor Verwundung entstehenden Vertuschung von Missbrauch zeige, werde demgegenüber weit weniger wahrgenommen. Keul betonte, dass Missbrauch nicht allein in der Binarit?t von Vulnerabilit?t und Resilienz untersucht werden k?nne. Weil sexueller und spiritueller Missbrauch komplexe, sich st?ndig ver?ndernde Dynamiken besitze, müsse er mit einem komplexen Modell analysiert werden, das auch die Vulneranz von Personen und Systemen bedenkt.

Internationales Ph?nomen, das internationale Vernetzung erfordert

Der Workshop schloss mit einer reflektierenden Einheit, in der wichtige Eindrücke der vergangenen drei Tage geteilt, weiterführende Forschungsfragen eruiert und wichtige Vorhaben für die Zukunft besprochen wurden. Viele Teilnehmerinnen betonten den hohen Wert der internationalen Vernetzung für ein Forschungsgebiet wie das des sexuellen und spirituellen Missbrauchs an Frauen. Dabei steht zum einen die Vernetzung innerhalb der Forschungscommunity und mit den ?berlebenden sexuellen und spirituellen Missbrauchs im Sinne des gegenseitigen Empowerments und der ethischen Reflexion des eigenen Forschens im Mittelpunkt.

Zum anderen aber resümierten die Teilnehmerinnen: Die Hidden Patterns, die sich durch den Missbrauch und die Vertuschung des Missbrauchs an erwachsenen Frauen ziehen, beschr?nken sich nicht auf Deutschland, sondern sind ein internationales Ph?nomen. Als solches müssen sie auch in internationalen Kooperationen beschrieben, bearbeitet und schlie?lich ver?ndert werden.

Informationen/Kontakt

Zur Professur für Pastoraltheologie und Homiletik (externer Link, ?ffnet neues Fenster)

Hidden Patterns of Abuse - Missbrauchsmuster (externer Link, ?ffnet neues Fenster)
DFG-Projekt Verwundbarkeiten (externer Link, ?ffnet neues Fenster)

Kontakt: Dr. Judith K?nig, Fakult?t für Katholische Theologie, Lehrstuhl für Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments
E-Mail: judith.koenig@ur.de (?ffnet Ihr E-Mail-Programm)

Foto: Charlotte von Schelling/UR
Teilnehmerinnen des DFG-Workshops "The Gendered Power System in the Catholic Church and its Impact on Women in Religious Communities" an der UR.
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