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Aktuelles: Suizidhilfe und das Recht auf selbstbestimmtes Sterben

Eine Auseinandersetzung von Prof. Dr. Rupert Scheule und Prof. Dr. Weyma Lübbe mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu §217 StGB

02. M?rz 2020, von Stefan Schreibmüller

Das Bundesverfassungsgericht hat am 26. Februar 2020 das in § 217 StGB geregelte Verbot der gesch?ftsm??igen F?rderung der Selbstt?tung als verfassungswidrig erkl?rt. Grundlage für dieses Urteil bildet das allgemeine Pers?nlichkeitsrecht, dass auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben einschlie?t - und damit die Freiheit, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Das Verbot der gesch?ftsm??igen F?rderung der Selbstt?tung ist nach Auffassung des Gerichts nichtig, weil es "die M?glichkeiten einer assistierten Selbstt?tung faktisch weitgehend entleert" (Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts zum Urteil zu § 217 StGB vom 26.02.2020 (externer Link, ?ffnet neues Fenster)).

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat unterschiedliche Reaktionen ausgel?st und sie wird auch innerhalb der Universit?t Regensburg diskutiert. Prof. Dr. Rupert Scheule, Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie, kritisiert das Urteil in seiner Stellungnahme (externer Link, ?ffnet neues Fenster): Es führe dazu, dass Suizidhelfer das vernichtende Urteil eines zur Selbstt?tung bereiten Menschen über sein eigenes Leben übernehmen müssten - "in einer wirklich humanen Gesellschaft darf aber niemand über das Leben eines anderen urteilen, dass es besser beendet werden solle", so Professor Scheule.

Prof. Dr. Weyma Lübbe, Inhaberin des Lehrstuhls für Praktische Philosophie, erl?utert in ihrem Kommentar (externer Link, ?ffnet neues Fenster), weshalb der Einwand von Prof. Scheule nicht zur Verteidigung des § 217 gegen das Urteil des Gerichts geeignet sei. Das Gericht habe über einen konkreten staatlichen Eingriff in die Grundrechte Sterbewilliger zu urteilen gehabt und dies sei in hochdifferenzierter Weise geschehen. Die Frage, was einzelne Formulierungen in der Urteilsbegründung an weiteren Konsequenzen nahelegen, sei allerdings nicht trivial und bleibe zu diskutieren.

Im Folgenden finden Sie Prof. Dr. Rupert Scheules Stellungnahme und Prof. Dr. Weyma Lübbes Kommentar in voller L?nge: 


 

Prof. Dr. Rupert Scheule, Lehrstuhl für Moraltheologie: Stellungnahme zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum § 217 StGB vom 26.02.2020


"Das lange erwartete heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum §217 StGB ist kein Beitrag zu einer humaneren Gesellschaft.


Wenn das Gericht in der Urteilsbegründung schreibt, das allgemeine Pers?nlichkeitsrecht schlie?e nicht nur die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, sondern auch ?hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen?, verkennt es, was es für diese ?Dritten ? bedeutet, Suizidhilfe anzubieten und zu leisten. Es ist weit mehr als die Anerkennung der Freiheit eines Suizidenten. Der Suizidhelfer muss dem Suizidenten folgen in dessen vernichtendes Urteil über sein Leben. Der Suizidhelfer macht es, indem er bei der Selbstt?tung hilft, zu seinem eigenen Urteil. In einer wirklich humanen Gesellschaft darf aber niemand über das Leben eines anderen urteilen, dass es besser beendet werden solle. {web_name}e soziale Dimension der Suizidhilfe scheint das Gericht ganz zu verkennen. Ausführlich traktiert es stattdessen den Zusammenhang von Würde, Selbstbestimmung und Suizid und suggeriert damit, das zu Fall gebrachte Gesetz h?tte den Suizid als solchen kriminalisiert. Das ist nicht der Fall.


Darüber hinaus neigt die Urteilsbegründung zumindest passagenweise zur Verkl?rung des Suizids, etwa wenn das selbstverfügte Ende nicht als Problem für die unverlierbare Würde, sondern als, ?wenngleich letzter, Ausdruck von Würde? dargestellt wird. Darf man vor dem Hintergrund dieses Urteils eigentlich noch versuchen, jemanden, der sich von einem Dach in die Tiefe stürzen will, vom Suizid abzuhalten?
Zu wenig Aufmerksamkeit schenken die Verfassungsrichter jedenfalls den Zwangslagen aus Schmerz, Verzweiflung und Lebensüberdruss, die vielfach zu einem Suizidwunsch führen. Vor diesen zu schützen, verlangt die Würde des Menschen eigentlich. Die Verzweiflung zu beseitigen, nicht den Verzweifelten, muss das Ziel einer humanen Gesellschaft bleiben.
Das Urteil fordert den Gesetzgeber geradezu auf, eine gesch?ftsm??ige Suizidhilfe zu erm?glichen. Damit dürften sich jetzt die Vorg?nge des Jahres 2012 wiederholen. Vor acht Jahren stellte die damilige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger einen Gesetzesentwurf vor, der nur die gewerbs-, nicht aber die gesch?ftsm??ige Suizidhilfe unter Strafe stellte. Die einschl?gigen sog. ?Sterbehilfe-Vereine? tilgten daraufhin sofort jeden Hinweis auf die Kommerzialit?t ihrer Angebote und waren sehr schnell dafür gerüstet, unter ?Gesch?ftsm??igkeitsbedingungen? organisierte Suizidhilfe zu leisten. {web_name}e Vereine kehren mit dem heutigen Tag zurück in die Startl?cher. Ab sofort sind nicht nur Vereinszwecke wie Brauchtumspflege oder der gesellige Austausch über die Kaninchenzucht erlaubt, sondern auch der Vereinszweck ?Suizidhilfe?. Das Gericht scheint dies für ganz normal zu halten. Das ist Anlass zur Beunruhigung."

→ zum Lehrstuhl für Moraltheologie (externer Link, ?ffnet neues Fenster)


 

Prof. Dr. Weyma Lübbe, Lehrstuhl für Praktische Philosophie Kommentar zu: Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 217 StGB vom 26.02.2020 und Stellungnahme Prof. Scheule vom 26.02.2020

"§ 217 StGB stellte die gesch?ftsm??ige (nicht kommerzielle, aber auf Wiederholung angelegte) Gew?hrung, Verschaffung oder Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbstt?tung unter Strafe. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Paragraphen jetzt für nichtig erkl?rt.


Die Urteilsbegründung umfasst einschlie?lich des Berichts über die vorab eingegangenen Stellungnahmen rund 70 Seiten. Es gibt kein ernstzunehmendes Argument in der Debatte, das nicht gewürdigt worden w?re. Das Gericht würdigt auch das für nichtig erkl?rte Gesetz selbst: Der Gesetzgeber habe mit geeigneten Mitteln einen legitimen Regelungszweck verfolgt. Die Nichtigkeit wird allein auf die sog. Unverh?ltnism??igkeit (?im engeren Sinne“) des Grundrechtseingriffs gestützt. Es gebe Menschen, denen es durch § 217 unm?glich gemacht werde, ihr Recht auf selbstbestimmtes Sterben auszuüben.


Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist gerichtlich l?ngst anerkannt. Aus ihm folgt nicht, dass irgendjemand Sterbewillige unterstützen müsse. Aber wenn es Personen gibt, auch in Vereinen organisierte Personen, die bereit sind, solche Unterstützung zu leisten, dann – so das jetzige Urteil – darf der Staat ihnen das nicht grunds?tzlich verbieten. Die Zul?ssigkeit solcher Hilfe darf nach Auffassung des Gerichts nicht wie bisher auf Angeh?rige und Nahestehende (tats?chlich oft: befreundete ?rzte) beschr?nkt werden. Auch Menschen, die keine Nahestehenden haben oder ihnen nicht vertrauen, müsse Beratung und bei anhaltendem Sterbewunsch auch Unterstützung angeboten werden dürfen.


Es muss also niemand einem Sterbewilligen ?folgen in dessen vernichtendes Urteil über sein Leben“, wie Rupert Scheule schreibt. Gemeint ist wohl, dass, wer dem Sterbewilligen hilft, implizit ein solches Urteil tats?chlich f?lle. Das, so postuliert Scheule, dürfe man in einer humanen Gesellschaft nicht. Wenn das richtig ist, betrifft es nicht nur die Zul?ssigkeit von sog. Sterbehilfevereinen. Es betrifft auch die von Angeh?rigen und Nahestehenden ausgeübte Suizidhilfe. Scheules Postulat – das legt der Kontext nahe – ist offenbar rechtspolitisch gemeint: Das Gericht h?tte § 217 nicht für nichtig erkl?ren sollen, weil Suizidhilfe implizite Urteile über das Leben anderer involviere.


Es versteht sich, dass dieses Argument in der Urteilsbegründung weder erw?hnt noch gewürdigt wird. Implizite Urteile über andere sind grunds?tzlich nicht strafwürdig und das ist auch gut so. Unabh?ngig davon ist die Beunruhigung, die aus Scheules Stellungnahme spricht, für viele Menschen sehr gut nachvollziehbar. Es ist die Beunruhigung derer, die wissen, dass Menschen in ihrem Selbstwertgefühl auf die Wertsch?tzung durch andere angewiesen sind. Daher auch Scheules Aufforderung, die Verzweiflung, nicht die Verzweifelten zu beseitigen. Richtig. Aber über Rechtspflichten, die diesem Ziel dienen k?nnten, hatte das Gericht nicht zu befinden. Es hatte über die Grundrechte der Beschwerdeführer (verzweifelt oder nicht) zu urteilen.


Scheules Auffassung, dass ein Suizidvorhaben stets ein ?Problem für die unverlierbare Würde“ sei, teilen weder die Beschwerdeführer noch das Gericht. Nach der Auslegung des Gerichts ist die Würde des Menschen ?nicht Grenze der Selbstbestimmung der Person, sondern ihr Grund“. Darüber, was das genau bedeutet und was daraus folgt, wird noch viel geschrieben werden. Dass das Gericht daraus nicht schlie?t, Passanten müssten Menschen von der Brücke springen lassen, ergibt sich aber bereits aus der Urteilsbegründung. Dem Gericht ist wohlbekannt, dass die weitaus meisten Suizidversuche nicht im Zustand voller Selbstbestimmungsf?higkeit begangen werden. Die Aufgabe, für Regulierungen zu sorgen, die dieser Tatsache auf grundrechtskonforme Weise Rechnung tragen, obliegt jetzt dem Gesetzgeber."

→ zum Lehrstuhl für Praktische Philosophie (externer Link, ?ffnet neues Fenster)

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