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Aktuelles: ?Die Vernunft l?sst sich auf Dauer nicht unterdrücken!“

Prof. Dr. Katrin Gierhake setzt sich für eine ?aufgekl?rte Juristenbildung“ ein

08. Januar 2020, von Media Relations & Communications

Im Zuge eines von ihr verfassten Editorials in der Neuen Juristische Wochenschrift hat sich Prof. Dr. Katrin Gierhake, Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Rechtsphilosophie, für eine Reform des Jurastudiums an deutschen Universit?ten ausgesprochen. Sie hat auf ihrer Homepage einen ?Aufruf zum Engagement!“ gestartet und vernetzt sich mit Kolleginnen und Kollegen, die ihr Anliegen in dieser Sache teilen.

Frau Prof. Dr. Gierhake, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview genommen haben! Uns interessiert zun?chst, was genau Ausgangspunkt und Anlass Ihrer Kritik und Ihres Bestrebens ist.

Prof. Dr. Katrin Gierhake: Als Professorin der Rechtswissenschaft habe ich in den Lehrveranstaltungen immer h?ufiger den Eindruck, dass die Studierenden nicht mehr die Kraft, Energie und Leidenschaft aufbringen, nach dem ?Warum“ zu fragen. Sie sind so sehr damit besch?ftigt, der Masse des Examensstoffs Herr zu werden, ihn in einer bestimmten Form abrufbar zu haben, dass jede über den unmittelbaren Examensstoff hinausgehende Fragestellung – etwa im Hinblick auf historische, gesellschaftliche oder philosophische Zusammenh?nge – schlicht ausgeblendet, schlimmstenfalls sogar als hinderlich empfunden wird. Jeder Keim eines selbst?ndig durchdachten, mitunter auch kritischen Umgangs mit der Materie des Rechts wird schon zu Beginn des Studiums mit dem Hinweis auf ?fehlende Examensrelevanz“ erstickt, bevor er überhaupt austreiben konnte. Und weil das Staatsexamen in seiner jetzigen Form die Bew?ltigung einer immer gr??er werdenden Stofffülle mit zuweilen absurder Kasuistik in extrem knapper Zeit und in einer ganz bestimmten Form verlangt, kann man den einzelnen Studierenden keinen und auch den Dozenten nur teilweise einen Vorwurf daraus machen, dass sie das gesamte Studium als Dressur für den gro?en Tag des alles entscheidenden Staatsexamens missverstehen.

Die Idee, dass das Studium den Willen und die F?higkeit zum eigenst?ndigen Denken bef?rdern sollte, bleibt mehr und mehr auf der Strecke. Letztlich ist damit die Bildung mündiger Juristenpers?nlichkeiten gef?hrdet. Und das kann nun wirklich nicht der Sinn des rechtswissenschaftlichen Studiums sein.

Und wie sieht Ihrer Meinung nach eine m?gliche L?sung des Problems aus, was w?ren Ma?nahmen, die es zu ergreifen g?lte?

 

Wir müssen meines Erachtens den Examensstoff quantitativ radikal reduzieren. Es geht dabei nicht darum, dass das Studium vereinfacht werden soll, es muss sich aber dringend ver?ndern. Das bedeutet nicht, dass der wegfallende Teil aus den Angeboten der juristischen Fakult?ten verschwinden muss. Eine Reduktion des Examenspflichtstoffs h?tte aber zur Folge, den enormen Examensdruck zu reduzieren. So k?nnte Freiraum (im Wortsinne: Raum für Freiheit) geschaffen werden, um sich auch auf Grundlagen, Systematik, Methodik und kritische Zugangsweisen einlassen zu k?nnen - was freilich auch die Bereitschaft aller Beteiligten voraussetzte, sich nicht mehr mit Vorgesetztem abspeisen zu lassen und selbst?ndig zu werden. Ans?tze dazu, etwa in Form von Kolloquien, Lektürekreisen oder auch guten Vorlesungen und Seminaren gibt es; aber die breite Masse der Studierenden findet kaum die Zeit, zwischen Klausurenkurs und Examensrepetitorium einmal Luft zu holen, und die breite Masse der Dozenten kann nicht st?ndig über das Deputat hinaus Zusatzangebote der genannten Art machen.

Mit Blick auf das, was in der heutigen Gesellschaft teils gefordert zu sein scheint, haben Sie die sch?ne Frage gestellt, ob es etwa angesichts des hohen Spezialisierungsgrades der Juristen in der heutigen Arbeitswelt nicht vielleicht sogar angemessen sei, ?vom hohen Ross der rechtswissenschaftlichen Bildung auf das gel?ndeg?ngige Pony der praktischen Gesetzeskunde umzusatteln.“

Ja, dieser Eindruck wird zuweilen erweckt. Interessant ist allerdings, dass weder Stimmen aus der Praxis, übrigens auch nicht aus rein wirtschaftlich ausgerichteten Gro?kanzleien, noch Stimmen aus der Wissenschaft auswendig gelernte Argumentationsketten und Textbl?cke für das ad?quate Resultat eines rechtswissenschaftlichen Studiums halten. Eine selbst?ndige Herangehensweise, die F?higkeit, sich in unbekannte Gesetzesmaterie einzuarbeiten und argumentativ überzeugende L?sungen zu erarbeiten, haben auch in der Praxis einen viel h?heren Stellenwert als blo?e Detailkenntnis. Im ?brigen zeichnet sich ein guter ?Volljurist“ (m/w/d) nicht dadurch aus, dass er bis zum Rand mit Detailwissen ?gefüllt“ ist. Vielmehr sollte das ?voll“ als ?allumfassend“ verstanden werden.

Kurz gesagt fordern Sie also statt der ?Konditionierung zum Sprung über das Jura-St?ckchen“, eine Rückkehr dazu, die Studierenden zum Selbstdenken anzuleiten?

 

Ja, so kann man das durchaus sagen, denn Ziel eines universit?ren Studiums – nicht nur in der Rechtswissenschaft – ist es, umfassend gebildete, selbstst?ndige, zuweilen kreativ und querdenkende Pers?nlichkeiten hervorzubringen, keine Wissensgef??e. Ich denke, dass das, was aktuell in der universit?ren Lehre passiert, eigentlich dem Gedanken einer Universit?t nicht würdig ist. Insofern ist es mir ein gro?es Anliegen, mich mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen und zu vernetzen, um entsprechende Ver?nderungen anzusto?en und der Vernunft wieder etwas mehr Raum zu geben.

Vielen Dank, Frau Professor Gierhake für das Interview!

 

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