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Aktuelles: ?Reicht Rationalit?t im Umgang mit Antisemitismus?“

Podiumsdiskussion mit Israels Generalkonsulin Simovich und Antisemitismusbeauftragtem Spaenle

29. Januar 2020, von Margit Scheid

Für Mittwoch, den 22. Januar 2020, hatte das Pr?sidium der Universit?t Regensburg zur Debatte über Antisemitismus in den H?rsaal H24 im Vielberth-Geb?ude eingeladen. Als G?ste auf dem Podium begrü?te Pr?sident Prof. Dr. Udo Hebel allen voran Sandra Simovich, die Generalkonsulin des Staates Israel in München, und Dr. Ludwig Spaenle, den Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. Vonseiten der Universit?t nahmen Prof. Dr. Ursula Regener, derzeit Universit?tsfrauenbeauftragte und ab 1. April 2020 Vizepr?sidentin im neu geschaffenen Ressort für Internationalit?t und Diversity, und Prof. Dr. Henning Ernst Müller, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzugsrecht, an der Diskussion teil. Prof. Dr. Stephan Bierling, Professor für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen, moderierte den Abend.

Den Termin hatten die Generalkonsulin und Pr?sident Hebel bewusst auf den 22. Januar gelegt – auf den Vorabend zur Holocaust-Gedenkfeier in der zentralen israelischen Gedenkst?tte Yad Vashem, bei der mit Frank-Walter Steinmeier erstmals ein deutscher Bundespr?sident sprechen durfte. Eine kritische und l?sungsorientierte Auseinandersetzung mit dem Ph?nomen des Antisemitismus ist der Universit?t Regensburg im Sinne ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung ohnehin ein Anliegen – durch den Anschlag von Halle und die geschichtsrevisionistischen Aussagen seitens der AfD hatte das Thema ungeahnt an Brisanz gewonnen.

Den Abend gliederte Moderator Professor Stephan Bierling in drei Abschnitte: An den Anfang stellte er die Auseinandersetzung mit dem Begriff und dem Ph?nomen Antisemitismus und schloss daran die Frage an, mithilfe welcher politischen, kulturellen und auch strafrechtlichen L?sungsans?tze wir als Gesellschaft gegen die Judenfeindlichkeit vorgehen k?nnen. Zum Abschluss des Abends lud Bierling das Publikum ein, sich mit eigenen Fragen und Erfahrungen in die Diskussion einzubringen.

?Antisemitismus ist ein Riesenbegriff“, stellte Professor Bierling zu Beginn der Gespr?chsrunde fest, ?ein Begriff, den wir unterschiedlich kategorisieren k?nnen“. Von Josef Joffe, dem Herausgeber der Zeit, übernahm Bierling die Begriffsbestimmung, die zwischen drei verschiedenen Auspr?gungen des Antisemitismus unterscheidet: Es gebe den historisch-religi?sen Antijudaismus der christlichen Kirchen und des Islam, der letztlich zur Shoa geführt hat; den auf die Shoa bezogenen Antisemitismus, der die Verfolgung und T?tung von Juden durch die Nationalsozialisten herunterspielt oder leugnet; und die auf den Staat Israel bezogene Judenfeindlichkeit.


?Wir erleben gerade die Verbreitung von antisemitistischem Unrat in einer Weise, wie es bisher nicht denkbar war“

Einigkeit herrschte auf dem Podium hinsichtlich der Frage, ob der derzeit in Deutschland aufflammende Antisemitismus ein neues Ph?nomen sei: Tats?chlich sei er immer pr?sent gewesen und werde das wohl auch immer bleiben, so Sandra Simovich. Antisemitismus in Deutschland sei nicht neu aber ?ffentlicher geworden als das in der Vergangenheit der Fall war. Dem pflichtete Dr. Ludwig Spaenle bei, der erg?nzte, durch die Tabubrüche einiger gew?hlter Volksvertreter sei es zur Verschiebung von roten Linien gekommen, was im Fall des Antisemitismus wie Brandbeschleuniger wirke: ?Wir erleben gerade die Verbreitung von antisemitistischem Unrat in einer Weise, wie es bisher nicht denkbar war“, so Spaenle. Prof. Dr. Henning Ernst Müller erg?nzte aus juristischer Sicht, dass die Zahl von antisemitisch motivierten Straftaten in Deutschland seit 2001 zwischen 1200 und 1800 j?hrlich liege, wobei die Werte jedes Jahr um etwa 100 schwanken – dies deute auf eine gro?e Dunkelziffer hin, d.h. man k?nne davon ausgehen, dass nur ein Viertel bis ein Fünftel aller politisch motivierten Straftaten überhaupt angezeigt und verfolgt würde. Eine gro?e Ver?nderung habe der Antisemitismus durch die Etablierung des Internets und der sozialen Medien erfahren, so Müller weiter, ehemals tabuisierte Aussagen würden jetzt ?ffentlich verbreitet. Prof. Dr. Ursula Regener pl?dierte dafür, auch im wissenschaftlichen Bereich die Augen vor antisemitischen Tendenzen nicht zu verschlie?en und zum Beispiel in der Literaturwissenschaft verdr?ngten Antisemitismus aufzuspüren. ?Ich mag mich nicht abfinden mit Aussagen wie: Das gab es schon immer und wird es immer geben“, stellte Regener klar.


?Reicht Rationalit?t, reichen Argumente?“ - L?sungsans?tze gegen den Antisemitismus

Doch was kann eine Gesellschaft oder auch konkret eine Universit?t tun, um Antisemitismus zu bek?mpfen? ?Reicht Rationalit?t, reichen Argumente?“, wollte Moderator Bierling in diesem Zusammenhang von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf dem Podium erfahren. Von Gespr?chen mit jüdischen Studierenden berichtete Ursula Regener von deren Bestreben, als Gesellschaft in die Normalit?t zurückzufinden, aus der Befangenheit und der damit verbundenen Sprachlosigkeit herauszukommen. Henning Ernst Müller pl?dierte dafür, dass Deutschland seine klare Haltung gegenüber antisemitischen ?u?erungen oder Handlungen beibeh?lt: ?Es ist v?llig legitim vor unserem geschichtlichen Hintergrund das Leugnen des Holocausts als Straftat zu behandeln, auch wenn das eine Einschr?nkung der Meinungsfreiheit sein mag.“ Positiv s?he er zudem die Bestrebungen, Antisemitismus als besonderes Merkmal in der Strafbemessung vorzusehen. Der Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle setzte zum einen auf einen gesellschaftspolitischen Ansatz, zum anderen auf Bildung, die wie kein anderes Instrument die Bev?lkerung über den gesamten Lebensbogen hinweg erreichen k?nne. Zudem sei es wichtig, die Wehrhaftigkeit des Rechtsstaates zu st?rken, und zum Beispiel soziale Medien st?rker in die Pflicht zu nehmen, wenn es darum gehe, gegen im Netz verbreitete Hassparolen vorzugehen. Generalkonsulin Sandra Simovich sprach sich für einen intensiveren Dialog zwischen den Kulturen und für mehr Zivilcourage auf – Bereiche, in dem jede Bürgerin und jeder Bürger aktiv werden k?nne.


Dialog mit dem Publikum: Israels Sicht auf Deutschland und Anlaufstellen bei antisemitischen Vorf?llen

Anschlie?end er?ffnete Professor Bierling den Dialog mit dem Publikum. Gro?es Interesse bestand an der Sichtweise Israels auf Deutschland und daran, wie Israel die zunehmenden antisemitischen Tendenzen wahrnehme. Ein jüdischer Student berichtete über seine negativen Erfahrungen mit der Polizei als er versucht hatte, eine antisemitische Beleidigung zur Anzeige zu bringen. Man habe ihn mit den Worten ?da kann man eh nichts machen“ weggeschickt. ?{web_name}es Argument darf nicht z?hlen!“, stellte Dr. Ludwig Spaenle klar, und verwies auf die Meldestelle Antisemitismus Bayern, bei der jeder Vorfall gemeldet werden k?nne. Weitere Anlaufstellen seien die jüdische Gemeinde in Regensburg sowie die Konfliktstelle am Regensburger Campus, wo Vorf?lle dieser Art ebenfalls gemeldet werden k?nnten, erg?nzten die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Regensburg, Ilse Danzinger, und Prof. Dr. Ursula Regener.

Zum Abschluss des Abends dankte Professor Bierling den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Debatte, dem Publikum für das rege Interesse und nicht zuletzt Dr. Andreas Friedel, dem pers?nlichen Referenten des Pr?sidenten, für die organisatorische Arbeit hinter den Kulissen.

Die Podiumsdiskussion kann auch als Ausblick darauf gewertet werden, was in den n?chsten Monaten und Jahren vonseiten der Universit?t im Kampf gegen Antisemitismus und Erinnerungsarbeit zu erwarten ist: Am 21. Januar 2020 hatte der bayerische Ministerrat beschlossen, an der Universit?t Regensburg ein Zentrum für Erinnerungskultur einzurichten, das auf der seit Sommer 2018 institutionalisierten Kooperation der UR mit der KZ-Gedenkst?tte Flossenbürg aufbaut. ?Universit?t kann und darf bei aller gebotener Neutralit?t und Objektivit?t nicht distanziert oder gar kalt gegenüber den gro?en Fragen und den gesellschaftspolitischen Konflikten unserer Zeit und der Zukunft bleiben“, wie Pr?sident Hebel in seinen einleitenden Worten zur Podiumsdiskussion zum Thema Antisemitismus deutlich machte.

Fotos von Markus Deli

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